Wozu noch warten? – oder: wie beantragt man eine Pflegestufe und einen Schwerbehindertenausweis?

Nachdem wir 2014 durch die Diagnostik gegangen sind, bzw. irgendwie noch mittendrin waren, habe ich am PC gesessen und die Seite des Versorgungsamt aufgerufen. Dort konnte ich direkt ein PDF ausfüllen und im Anschluss ausdrucken, was für den Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis (SBA) nötig war.

Ich fügte alles, was ich bis dato hatte, hinzu:

  • Kontaktadresse des Kinderarztes
  • Kontaktadresse von der KJP
  • Kontaktadresse vom Kindergarten
  • Kontaktadresse des Zentralklinikums Augsburg
  • Kontaktadresse der SOS-frühdiagnostischen Beratungsstelle Landsberg

Auch gab ich alle bisherigen Arztbriefe hinzu, die sich so angesammelt haben – sei es Unfallberichte aus der Notaufnahme wegen seiner ständigen Stürze, der Arztbrief aus dem Zentralklinikum in Augsburg, ein kurzer Bericht vom Kinderarzt mit Verdachtsdiagnose (frühkindl. Autismus).. Auch machte ich in dem Antragsformular eine Notiz, dass wir leider noch auf den Arztbriefe der KJP warten, in dem die Diagnose nochmals mit ausführlichem Bericht steht.

Ich hab alles eingetütet und am nächsten Werktag in der Post auf die Reise geschickt. Nun hieß es warten und hoffen, dass es nicht noch Monate dauern wird.

Nach fast 7 Wochen schon kam ein Brief zu uns, in dem sein Grad der Behinderung (GdB) festgelegt wurde. Vincent erhielt 100% GdB mit den Merkzeichen B, G, H und Rf. 

  • B steht für die „ständige Notwendigkeit einer Begleitperson“
  • G steht für „erhebliche Gehbehinderung“
  • H steht für „Hilflosigkeit“
  • Rf steht für die „Befreiung von Rundfunk-Gebührenpflicht“

Das war mal echt eine Menge, und mit so hoher Prozentzahl hatte ich eigentlich gar nicht gerechnet. Aber so war es nun mal und das ließ ich dann erst mal sacken.

Im Nachhinein nutzten wir die finanziellen Vorteile und erhielten somit vergünstigte und/ oder freie Eintritte im Zoo, in Indoor-Spielplätzen oder in Schwimmbädern. Selbst im ICE zahlt die Begleitperson keine Fahrkarte und Vincent erst ab dem 6. Lebensjahr einen Behindertentarif. Auch das inzwischen neue Auto der Familie wurde auf Vincent zugelassen und ist dadurch von der Kfz-Steuer befreit. Ebenso gibt es einen Steuerfreibetrag und bestimmt noch mehr finanzielle Vorteile.

Dass wir daraus so viel Nutzen erzielen, hätten wir nicht vermutet. Ob wir den Ausweis im Jahr 2021 verlängern, wissen wir heute noch nicht, denn bis dahin ist er gültig. Vincent wäre dann 10 Jahre alt.

Gleichzeitig zum Antrag auf den SBA rief ich auch noch die Krankenkasse an, um eine Pflegestufe zu beantragen. Das ging eigentlich relativ schnell, denn man nahm den Antrag telefonisch entgegen und teilte mir mit, dass sich der MDK (medizinischer Dienst der Krankenkassen) schriftlich bei mir melden würde. Schon einige Tage später kam ein Brief , in dem stand, dass der Antrag bearbeitet wird und sich bald jemand der Mitarbeiter mit einem Termin zur Begutachtung von Vincent melden würde. Wieder einige Tage später flatterte der nächste Brief mit einem vorgegebenen Termin bei uns herein. Ich solle beim Hausbesuch Arztbriefe und andere Unterlagen bereitlegen, die vielleicht ausschlaggebend sein können, um eine Pflegestufe zu erhalten.

Ich schrieb ein Pflegetagebuch (download) über 2 Wochen(!), (das bekam ich damals als Vorlage zum Download bei meiner Krankenkasse) worin alle Tätigkeiten mit Zeitangabe notiert wurden, die ich für Vincent täglich benötigte. So wurde auch mir das erste Mal richtig bewusst, wie viel Zeit er von mir in Anspruch nahm. Oft habe ich dort angegeben, dass ich die volle Übernahme bestimmter Tätigkeiten durchführte (wie zum Beispiel die Zahnpflege oder an-/ auskleiden, Treppe hoch und runter tragen, etc) damit es schneller ging. Wer hat schon ständig alle Zeit der Welt, wenn man Termine einhalten will oder nicht den ganzen Tag mit einer Sache verbringen möchte?! Also machte ich viel selber, anstatt ihn anzuleiten oder zu unterstützen. Er hätte es gar nicht gemacht oder aber dafür Stunden benötigt!

Aber leider war das ganz falsch von mir! Also ein gut gemeinter Rat an alle meine Leser hier: bitte gebt die Zeit in eurem Pflegetagebuch an, die ihr mit Anleiten oder Unterstützen benötigt und nicht mit der vollen Übernahme. Natürlich sollt ihr bei der Wahrheit bleiben. Wenn was nicht alleine klappt, dann muss man schon die volle Übernahme angeben. Auch zählt Haushalt und Einkauf dazu, sowie Mahlzeiten anrichten, anreichen, Fahrten zur Therapie oder zu Ärzten, selbst Fahrten zur Kindertagesstätte kann man täglich aufschreiben oder Telefonate wegen jeweiliger Termine mit Ärzten oder Therapeuten oder Förderungsprogrammen.

In Vincents Fall war das schon allein zeitraubend, bis er endlich mal im Auto war oder die Schuhe an hatte. Und jeden Tag musste man mit der gleichen Geduld irgendwie den Tag meistern – das schlaucht ganz schön und zerrt an den Nerven!

Der Tag X kam und eine nette Dame vom MDK besuchte uns am Nachmittag kurz nachdem ich Vincent und Joséphine aus der Krippe abholte. Sie sah sich die Räumlichkeiten an (Schlafplatz, Badezimmer und WC vor allem), stellte Fragen ähnlich wie bei der Diagnostik in der KJP und ging noch mal sämtliche Auffälligkeiten und Stereotypen durch, die Vincent an den Tag legte. An diesem Tag hatte Vincent während ihrem Besuch auch noch gleich einen typischen Wutausbruch und zeigte ihr dadurch, wie er fast täglich aus der Haut fahren konnte. Vorführeffekt zur rechten Zeit könnte man sagen! Ich gab ihr auch eine Kopie des einwöchigen Pflegetagebuch (das Original sollte man nicht aus der Hand geben) und sie meinte nach ca. 45 Minuten, dass einer Bewilligung bestimmt nichts im Wege steht.

Ungefähr 6 Wochen später bekamen wir Post von der Krankenkasse und erhielten für Vincent rückwirkend bis zur Antragstellung eine Pflegestufe 1 mit eingeschränkter Alltagskompetenz. Das heißt, wir bekamen fortan monatlich € 317 ausgezahlt (ebenfalls rückwirkend) und zusätzlich € 104 Betreuungskosten-Übernahme, die wir über Pflegedienste abrechnen lassen könnten. Hinzu kommt, dass wir zur Pflegestufe auch ein Jahresbudget über die Verhinderungspflege von € 1650 zur Verfügung haben. Davon kann man Pflegedienste, Haushaltshilfen und Babysitter entlohnen. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit der Kurzzeitpflege, aber hiervon haben wir bisher kein Budget genutzt. Allerdings kann man das ablehnen und auf das Budget der Verhinderungspflege aufstocken lassen.

Seit dem Pflegestärkungsgesetz gibt es keine Pflegestufen mehr, das nennt sich nun Pflegegrad und die finanziellen Mittel sind mit der Zeit immer angepasst worden. Vincent hat aktuell den Pflegegrad 3 und auch weiterhin den Schwerbehindertenausweis GdB100 und Merkzeichen G,B,H,Rf.

Aktuell gibt es auch sehr viele Neuerungen für Menschen mit Behinderungen im Pflegegesetz: Leistungen der Pflegeversicherung

So sieht es also bei uns aus.

Für Hilfe und Tipps darf man mich gerne auch direkt kontaktieren oder auch über die Kommentare hier 🙂

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