Mein 2. Interview als Mutmachmensch (PTBS/ Depression/ Hochsensibilität)

Vor geraumer Zeit erhielt ich von meiner lieben Freundin Andrea einen Link-Tipp. Er führte zu den Mutmachleuten, die sich gegen Stigmatisierung einsetzen, Mut machen, laut werden und Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Stimme geben. Ich fand das sehr gut! Nach weiterem Lesen und Scrollen und Klicken fand ich auf die Seite, bei der ich selber zum Mutmachmensch werden konnte und füllte einen Steckbrief (als Betroffene) aus. Diesen habe ich bereits auch schon abgeschickt, jedoch weiß ich nicht, ob und wann dieser veröffentlicht wird. Aber das heißt ja nicht, dass ich alles völlig umsonst in die Tasten gehauen habe, oder? Also viel Spaß beim Lesen. Das bin ich:

Steckbrief

Betroffene: Liliana

Persönliches Statement: Frag mich, bevor du urteilst!

Jahrgang: September 1978

Diagnose(n): PTBS, Depression, Hochsensibilität

Therapie(n): stationär 4 Nächte, 12 Wochen Tagklinik und Medikamenten, anschließend ambulanten wöchentlichen Terminen in Einzel- und Gruppengesprächen. Seit 2018 Kräuter- und Naturheilkunde ohne Schulmedizin

Ressource(n): meine Kinder und vor allem mein Mann, der Zusammenhalt in meiner Familie haben mir mein Leben (zurück)geschenkt. Aber auch das Hilfe annehmen war etwas, was ich hart lernen musste. Und nun ist das Hilfe-annehmen eine Ressource geworden.

 

  • Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren

Das war eigentlich erst in einer Akutsituation nach dem Tod meines Sohnes durch einen erweiterten Suizid meines Ex-Freundes. Ich brach regelrecht zusammen und wurde stationär in einer Psychiatrie für einige Nächte eingeliefert. Heute kann ich mich nur schlecht erinnern. Ich weiß von einer Nacht dort, in der ich wach lag und weinte. Der Rest ist komplett weg und ich ließ mich wohl auf eigenen Wunsch wieder entlassen. Ein paar Wochen später brach ich vor den Augen meiner damaligen Kollegin mitten im Dienst zusammen. Ich war damals als Pflegefachkraft in einem mobilen Pflegedienst tätig und war als Rufbereitschaft gerade in der Station, als sie mich dort auffand. Sie kümmerte sich darum, dass ich beim Arzt vorsprach und kam sogar mit, um sicher zu gehen, dass ich den von ihr vereinbarten Termin in der Praxis wahrnahm. Dann ging es eigentlich alles recht schnell. Ich wurde überwiesen an eine Tagklinik, wo ich 12 Wochen blieb. Dort wurde ich auf Medikamente eingestellt. Auch erfuhr ich dort, was ich habe. Die PTBS diagnostizierte man aufgrund dem traumatischen Erlebnis 2014. Die Depressionen allerdings hatte ich wohl vermutlich schon seit meiner Kindheit aufgrund Mobbing in der Schule, Gaslightning (endlich hatte das Ding einen Namen) in der Familie und der ständigen Reizüberflutung meiner Hochsensibilität. (Später, 2023, erfuhr ich jedoch, dass diese Hochsensibilität vielleicht auch eher in das Autismus Spektrum fallen könnte, da ich vermutlich mein Leben lang im Masking verbrachte. Aber die Diagnostik erspare ich mir vorerst noch).

  • Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Vermutlich zeige ich gerade mein Gesicht, weil ich stolz auf mich bin! Ich habe es geschafft, stabil zu sein und so gut es geht zu bleiben und mein Leben genießen zu können. Es gibt immer noch viele, wirklich sehr viele Momente, in denen ich mit einer Panikattacke kämpfe oder zu Boden gehe oder in der ich das Gefühl habe, niemals genug zu sein oder den Tag nicht adäquat zu überstehen. Aber das ist ok. Ich möchte zeigen, dass man nicht alleine sein muss und ich möchte vor allem auch zeigen, dass mich diese Erkrankung(en) und Einschränkungen bis heute nicht besiegen konnten! Keiner muss den Weg alleine gehen! Ich möchte laut sein und sagen: hier bin ich! Und ich bin genug! Und ja, ich habe Depressionen, auch wenn ich sehr humorvoll und lustig bin, wenn man mich so lachend sieht!

  • Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

Ich habe von meinem direkten Umfeld nie negative Äußerungen oder Situationen erlebt. Im Gegenteil: Kolleginnen waren sehr einfühlsam und lösungsorientiert aktiv. Mein Mann hat nie in Frage gestellt, wieso ich so antriebslos wurde oder depressiv. Er war eher hilflos und war froh, als dank dieser einen Kollegin der Stein ins Rollen kam. Das Elternhaus in NRW dagegen war da schon schwieriger. Meine Mutter hörte mir nie zu, bagatellisierte meine Problemchen und drehte irgendwie die Situation um: wenn ich mein Herz bei der Mutter ausschütten wollte, jammerte sie nur rum, wie schlimm es ihr ergehe und machte mir nur Vorwürfe über mein Leben, meine missratenen Kinder und dass ich sie im Stich gelassen habe, als sie mich brauchte. Seit dem Tod meines Vater 2015 habe ich den Kontakt gänzlich zur Herkunftsfamilie abgebrochen. Seitdem geht es mir besser.

Von der Gesellschaft bzw. irgendwelchen Fremden hört man ja oft Sätze wie „Jeder ist mal traurig.“ oder „Ach lass dich halt nicht so gehen!“. Ich würde mir wünschen, dass man solche Sätze einfach sein lässt und stattdessen fragt, welche Gedanken oder Ängste einen beschäftigen. Ich will kein Mitleid, ich will Anteilnahme und Verständnis. Doch dazu muss man sich halt Zeit nehmen und die Krankheit verstehen lernen. Das ist nicht mit einem Stück Schokolade oder einem Spaziergang im Wald geheilt.

  • Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Ich glaube nicht, dass man hier von „Dingen“ sprechen kann, sondern eher von Menschen. Denn Ich glaube, es war mein Mann, der mir aufzeigte, dass wir (nicht nur ich als Betroffene) Hilfe benötigen. Er fühlte sich machtlos, hilflos und ohnmächtig, mich so zu sehen und ich war eher so teilnahmslos, dass ich wie fremdgesteuert einfach diese Hilfe annahm und dabei schnell merkte, dass ich Hilfe gegen diese Leere in mir benötige. Ich war im Autopilot darauf bedacht, meine Kinder und meinen Mann zu versorgen und das Zuhause zu pflegen, damit alle gesund und glücklich sind. Ich sah ihn aber sehr darunter leiden. Mich selbst sah ich dabei nicht, nur ihn. Und das machte etwas mit mir. Ich sah, wie ich mich immer mehr verloren hatte. wie ein Teil von mir gestorben war. Ich vermisste mich plötzlich. Ich vermisste es, Gefühle zu haben und zu leben. Und ich sah täglich den Bedarf meiner Kinder und dass sie eine Mutter mit Gefühlen benötigen! Stattdessen war ich nur eine funktionale Roboter-Frau, die darauf achtete, dass jedes Familienmitglied saubere Kleidung trug, genügend Essen und Getränke bekam und die Termine wie Kita und meine Arbeitszeiten eingehalten wurde. Das war nicht mehr mein Leben, das war überhaupt kein Leben. Und bei mir selber wurde ich immer nachlässiger, aß weniger, trank nicht genug, war antriebslos und auch teilnahmslos. Da wurde mir klar: ich brauche dringend Hilfe!

  • Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Ich habe gelernt, auf meine Intuition zu achten. Ich höre auf mein Bauchgefühl und bleibe mir selber treu! Ich lasse mir auch nicht in mein Gefühl reinreden. Ich bin natürlich nicht der Mensch, der dann mit dem Kopf durch die Wand will. Ich Wurde achtsamer mit mir selbst. Ich beobachte mehr und gebe mir immer die Zeit, die es benötigt.

Im Alltag zähle ich viel. Ich nutze Kopfhörer oder Gehörschutz. Ich spreche offen über das, was mich stresst oder wenn meine Grenzen überschritten wurden. Ich bin kein Ja-Sager mehr, sondern wäge meine Kapazität vorher ab, bevor ich jemandem etwas zusage. Das war früher undenkbar gewesen. 

  • Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Sich öffnen öffnet andere. Man muss da nie alleine durch! Und man muss sich selbst treu bleiben und auf sein Bauchgefühl vertrauen! Nur so findet man zu sich selber zurück, wenn man sich verloren gedacht hat. Man muss sich nur trauen – und das ist das schwierigste.

  • Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Angehörige sollten immer zuhören! Urteilsfreies Zuhören lässt irgendwann alles ein wenig besser verstehen! Und sie sollten sich nicht wegen ihrer erkrankten Angehörigen schämen! Im Gegenteil! Sie sollten sich vor der Gesellschaft für ihre Angehörigen positionieren und an sie glauben, denn sonst tut es ja sonst keiner! Sie selbst sind ja nicht im Stande dazu, sonst wären sie vielleicht nicht so im Struggle mit sich selbst!

Angehörige sollten auch immer stören! Ein „Meld dich, wenn du was brauchst!“ wird niemals den Menschen dazu bringen, sich zu melden, wenn er was braucht. Sie sollten einfach aktiv helfen, statt es nur anzubieten. Niemand würde auf die Idee kommen und von sich aus sagen „Ach weißt, wäre schön, wenn du meine Dreckwäsche mitnimmst und mir die Tage gewaschen und gefaltet zurück bringst!“ oder so etwas wie „Kannst du mal eben die Küche aufräumen!? Hab seit drei Tagen nicht gespült und einkaufen gehen wäre auch nett!“. Nie-mand! Willst du also helfen? Dann tue es!

  • Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich würde vermutlich nichts in meinem Leben anders machen wollen. Denn all das, was ich erleben musste, was ich durchmachen musste, was ich erfahren musste, hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin: (wieder) lebensfroh, ehrlich bis ins Mark, hilfsbereit und humorvoll. Und ich mag mich sehr! Ich wohne gerne in mir!

Außer: ich würde das mit der Zahnpflege vermutlich ein wenig besser machen, aber der Rest wäre einfach perfekt gelebt in meinem Leben. Ich bereue nichts!

 

Instagram: @dreadzauber_liliana und @lilianas_private_space

Facebook: liliana.litidotir (Profil) und lilianaskingdom (Seite)

Vielleicht kennst du das 1. Interview als Angehörige ja auch schon von mir? Hier geht es zum 2. Interview als Betroffene

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