Vincent begann mit dem Krabbeln erst als er ungefähr 7 Monate alt war. Und dann war kein Halten mehr. Er stieß sich die Knie und ich dachte immer Das muss doch weh tun! aber er weinte eigentlich nie oder machte den Eindruck, dass er sich gestoßen habe. Sein Schmerzempfinden war irgendwie nicht da…
Drollig fand ich die Eigenart von ihm, dass er im Krabbelalter mit der Außenseite seines Daumen ständig über verschiedene Oberflächen streifte. Er schien raue mit glatten Flächen zu vergleichen, rieb über Teppichkanten und Kleidung, strich dauernd über Spielzeug oder Kinderbücher. Sein Daumennagel war irgendwann ganz abgenutzt, als würde er ständig sie Daumenseite mit einer Nagelfeile bearbeiten. Aber wie gesagt: ich fand seine kleine Eigenheit nur drollig und machte mir darüber auch nicht viele Gedanken, dass da was nicht ganz ’normal‘ verlief.
Was er niemals als Baby oder Kleinkind durchlebte, war die typische orale Phase. Er nahm niemals Spielsachen oder andere Gegenstände in den Mund, wie man es von anderen kleinen Kindern her kennt. Ich habe das sehr schnell bemerkt, dass es irgendwie ‚anders läuft‘ bei ihm, machte mir da aber auch wieder keine Gedanken, ob es nun gut oder schlecht sei. Ich war eher erleichtert darüber, dass ich bei meinem Bub nicht ständig acht geben muss, wo und was er sich als nächstes in den Mund stecken, und was vielleicht schädlich sein könnte. Nicht mal Sand mochte er, was ja bei vielen Kleinkindern als Hochgenuss gilt!
Später wurde mir wieder durch einen Zufall bewusst, wie wichtig die orale Phase für ein Kind sein würde.
Die frühe orale Phase
Wenn Babys alles in den Mund nehmen, befinden sie sich in der oralen Phase. Experten unterscheiden eine frühe und eine späte orale Phase. In der frühen oralen Phase nimmt der Säugling seine Umgebung und seine Bezugspersonen noch nicht im vollen Umfang wahr. Das Baby ist auf Teilbereiche fixiert – ein ganz typisches Beispiel dafür ist die Brust der Mutter. Diese steht beim Stillen im Mittelpunkt. Der Mund – das wichtigste Sinnesorgan eines Neugeborenen – macht hierbei seine ersten sinnlichen Erfahrungen.Die späte orale Phase
Die eigentliche orale Phase (auch als späte orale Phase bezeichnet) beginnt etwa mit dem 5. Lebensmonat des Babys und zieht sich über das gesamte 1. Lebensjahr hinweg. Während dieser Zeit ist nichts, aber auch rein gar nichts, vor dem Entdeckungsdrang der Kleinen sicher. Egal was das Baby in die Hand bekommt – es wandert schnurstracks zu seinem Mund. Warum ist das so? Nun, ein Baby hat zwar neben dem Tastsinn auch noch andere Sinne. Jedoch sind im 1. Lebensjahr weder Hören noch Sehen so weit entwickelt wie eben dieser Tastsinn. Mit der gesamten Mundhöhle einschließlich der Zunge wird jeder erreichbare Gegenstand abgetastet. Wie fühlt er sich an? Ist er hart oder weich? Kühl oder warm? Ist er glatt oder kantig? Über das Abtasten mit Mund und Zunge gewinnt das Baby so eine Menge Informationen und macht wichtige Sinneserfahrungen. Gleichzeitig ist die orale Phase die erste Phase in der Entwicklung der kindlichen Sexualität.
(Quelle: Familie und Tipps)
Dann lernte er mit 13 Monaten das Laufen. Er zog sich mit erst einem Jahr an Möbeln hoch, war aber nie lang auf den Beinen und plumpste auf den Windelpopo. Als er den Dreh endlich raus hatte mit dem Gleichgewicht, klappte es lange Zeit trotzdem nur an einer Hand oder entlang der Möbel, wo er sich festhalten konnte. Frei gelaufen ist er erst viel später, da war er ungefähr 15 Monate alt.
Mit 16 Monaten wurde er ein großer Bruder, im Juni 2012 wurde seine kleine Schwester Joséphine geboren. Auch mit diesem Erzeuger gab es ein schnelles Ende – er verließ mich in der 20. Schwangerschaftswoche und war nie wieder erreichbar für mich. Aber das ist eine andere lange Geschichte..
In der Schwangerschaft machte ich mir Gedanken über Eifersucht oder anderer kleinen Schwierigkeiten unter den baldigen Geschwistern. Jedoch war das völlig grundlos, denn Vincent hatte bis heute nie eifersüchtig oder egoistisch gegenüber seiner kleinen Schwester reagiert.
Im Gegenteil: er war entweder sehr vorsichtig mit ihr oder eher desinteressiert oder defensiv und mit sich und seiner Welt beschäftigt. Wenn die Kleine heute auf ihn losgeht, ist er eher distanziert, wehrt sich nicht und ist sensibel, weinerlich.
Durch seine Mobilität wurde es damals sehr stressig. Da er nun laufen und an meine Bücher und DVDs in den Regalen herankam, räumte er natürlich tagtäglich mehrfach besagte Regale leer. Klar machen das alle Kinder, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, dass er völlig erziehungsresistent ist, wenn ich ihm das Ausräumen der Regale verbot. Insgeheim dachte ich mir nach Wochen, dass ich ihm die Hände abhacken müsste, und er würde dennoch weiter meine Sachen umher werfen. Ich blieb hartnäckig und räumte also ewig meine Regale wieder ein, in der Hoffnung, dass er vielleicht irgendwann ein neues Hobby entwickelte – und ich wurde belohnt! Mit ungefähr 2 Jahren hörte es endlich auf und die Regale mit den DVDs und Büchern wurde scheinbar uninteressant.
Vielleicht lag es auch daran, dass wir von Augsburg nach Unterdießen umgezogen sind und nun mit meinem neuen Partner Sven (er wurde dann auch schon bald mein Ehemann) einen Verbündeten gefunden habe, der in Erziehungsangelegenheiten eine große Hilfe wurde.
Das hieß aber nicht, dass es von nun an alles auf Anhieb klappte! Es gab zwar kleine Erfolge, aber auch große Rückschritte und so langsam machte ich mir so meine Gedanken, ob es an mir liegt oder ob was mit Vincents Entwicklung schief läuft. Denn mittlerweile bemerkte ich die Blicke anderer Leute auf der Straße, wenn ich meinen Sohn mal wieder festhalten muss, damit er nicht einfach auf die Straße läuft oder wenn er mal wieder einen Wutanfall hatte, bei dem ich ihn nur noch umklammern und festhalten musste, damit er sich nicht wieder selber verletzt.
Aber dazu mehr im nächsten Artikel..