Die Löffel-Schublade ist leer

Und keine Zeit zum Spülen! 

Manchmal weiß man vor lauter Baustellen gar nicht, wo einem der Kopf steht. Da sind kranke Kinder, Hausaufgaben, der Haushalt mit den unzähligen Stinkesocken, hungrige Mägen und Einkaufszettel, Katzen (auch die verhungern ja oftmals 5x täglich), Business mit Buchhaltung und Kundenterminen und dann ist da ja noch dass dicke Thema Autismus mit den Stolpersteinen der Behörden wegen diesem Inklusion oder wie der heißt…

Kein Wunder, dass ich mich da inzwischen mehr als geistig müde und auch ausgebrannt fühle. 

Oft ist es schwer, als Autist, hochsensible Person oder auch als Mensch mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Burnout die Ressourcen für den einzelnen Tag zu rationieren und einzuteilen. 

Und gesunde Menschen mit relativ guter körperlicher Verfassung haben eben einen etwas höheren Maßstab an Energielevel als andere, die mit ihrer Erkrankung wie Depressionen, Burnout, Autismus oder ähnlichem zu kämpfen haben. 

Nehmen wir mich als Beispiel: ich leide seit 2014 an einer PTBS, habe Depressionen, bin hochsensibel und wer weiß, ob ich nicht selbst auch irgendwie im Autismusspektrum rumdümple. Und solche Menschen wie ich – am Rande andauernder Erschöpfung – sind in einer ständigen Rechtfertigungsnot. 

Wer dauernd Kontakte einschränkt, weil es sonst zu viel wird oder wer gesellschaftliche Ereignisse (Weihnachtsmärkte, Konzerte, Festivals oder Ähnliches) ablehnt, gilt schnell als gesellschaftlich unfähig oder sogar ignorant. Da braucht es schon einen guten Grund, damit dieses Bedürfnis nach Ruhe und Erholung eben nicht durch andere eine entsprechend negative Bewertung erfährt. Wir haben eben nicht unbegrenzte Löffel zur Verfügung.

Was hat das mit Löffeln zu tun?

Die Bloggerin Christine Miserandino prägte hier, durch ihre gelungene Metapher, die Löffeltheorie.

Christine Miserandino erlebt durch ihre Autoimmunerkrankung ( Lupus Erythematodes) auch erhebliche Einschränkung und Reduzierung ihrer Ressourcen. Für alle Menschen, die mehr Energie in den Alltag stecken, als sie in der darauffolgenden Nacht wieder zurückgewinnen, gilt es, diese kostbaren Ressourcen sehr achtsam und ökonomisch zu verwalten. Wer mehr gibt, als er wieder zurückbekommt, wird das zu spüren bekommen.

Es gibt nur wenige Menschen, die in der Lage sind, sich abzuschotten, sich zurückzuziehen oder Kontakte meiden, um wieder ihr Energielevel aufzuladen. Es fehlt ihnen einfach die Kraft dafür – ein Teufelskreis! Und wer am Montag wieder funktionieren muss, kann sich meist nur am Wochenende regenerieren oder zurückziehen. Meist ist es oft der Fall, dass man sich am Wochenende sehr stark einschränkt und zurücknimmt, damit man überhaupt wieder alltagstauglich wird. 

Teilhabe ist nicht nur etwas, an das wir gehindert werden. Teilhabe muss man sich auch kräftemäßig erst mal leisten können.

Und so kam es zu der Löffel-Theorie von Christine Miserandino. Sie besuchte eines Tages mit ihrer Freundin gemeinsam ein Café.

Die Freundin, eine Person, die eben nicht über nur eingeschränkten Kräfte verfügte, konnte sich das nicht vorzustellen, wie viel es Christine abverlangte, mit ihr gemeinsam in einem Café zu sitzen.
Eigentlich ist doch so ein Besuch im Café eine willkommene Entspannung und hat überhaupt gar nichts mit Stress zu tun.

Für Christine aber bedeutet es, dass sie eine Wahl treffen muss für diesen Tag, ob sie die Kräfte vergibt für den Café-Besuch oder für etwas, was höhere Priorität hat.
Café-Besuch oder vielleicht der nötige Einkauf. Beides geht nicht. Für beides ist keine Energie da.

Die meisten Menschen würden sicher beides miteinander verbinden. Für viele Menschen ist genau das nicht möglich. Damit ist ihr Alltag erheblich eingeschränkt.  Ja, wie das? Es muss doch möglich sein, einen Einkauf zu machen und danach gemütlich in einem Café zu sitzen und sich mit einer Freundin zu unterhalten? Ja, schön wär’s. Wenn ich da an mich denke, bekomm ich schon Schweißperlen auf der Stirn! Denn ein Café besuchen bedeutet für mich, dass ich sehr vielen auditiven Reizen und ggf. auch grellen Licht oder einer stressigen Parkplatzsuche ausgeliefert wäre. Aber zurück zu Christine…

Christine versuchte ihrer Freundin nun zu verdeutlichen, wieso das in ihrem Fall eben nicht möglich ist. Dazu stand sie auf und nahm sich einige Löffel von der Theke. Genauer gesagt waren es zwölf an der Zahl. Sie gab ihrer Freundin also die zwölf Löffel mit folgender Erklärung:

“Ein gesunder Mensch hat grundsätzlich für viele seiner täglichen Vorhaben ausreichend Energie. Und wenn die zur Neige geht, hat er nach einer Pause doch in der Regel den Energiehaushalt wieder aufgefüllt. Ich habe leider als kranker Mensch täglich nur eine begrenzte Menge Energie. Stelle dir vor, diese zwölf Löffel wären die Energie, über die du täglich verfügen könntest. Mehr gibt es nicht. Passe auf, dass dir keiner runterfällt, was vergeudet ist, ist vergeudet! Du stehst nun morgens auf und denkst darüber nach, was an diesem Tag anstehen wird. Du wählst die passende Kleidung aus, gehst duschen und ziehst dich an. Und schon hast du drei Löffel weniger zur Verfügung.”
Christine nahm ihrer Freundin drei der Löffel weg.
“Bedenke also, was du an Kleidung wählst, denn sich nochmal umziehen zu müssen, kostet weitere Löffel.“

Bei Ihrer Schilderung war sie noch nicht einmal an ihrer Arbeitsstelle angekommen, da fehlten der Freundin bereits 6 Löffel.

“Ich habe nur noch die Hälfte“, bemerkte die Freundin. „Ja, so ist das“ erwiderte Christine. “Du kannst manchmal auch ein oder zwei Löffel ausborgen von dem morgigen Tag. Aber dann musst du eben wissen, dass der morgige Tag mit 10 anstatt 12 Löffeln startet. Die Arbeit benötigt die Kraft von 5 Löffeln, den einen solltest du dir für den Nachhauseweg aufsparen.“
Damit waren nun sämtliche Löffel verbraucht. Da war nichts mehr übrig für den Einkauf und auch nichts mehr für einen Café-Besuch. Das konnte ihre Freundin inzwischen deutlich erkennen.

Tja, und so ist das mit vielen Menschen und ihren dauernd eingeschränkten Ressourcen. Die Löffel zeigen einem schon sehr anschaulich, wie schnell im Alltag einfach die Energie für ganz banale Dinge geraubt und verbraucht werden. Und so kann man es seinen Mitmenschen oder auch sich selbst mal visuell klarmachen, wie unglaublich sorgfältig und auch ab und zu mal geizig mit den eigenen Löffeln und somit unserer eigenen Kraft umgehen müssen. 

Ich darf meine Löffel nicht einfach wie Perlen vor die Säue werfen, vergeuden oder an unwichtige Punkte auf der Tagesordnung verschwenden. Für manche ist vielleicht ein Ladebalken eines Akkus anschaulich genug. Ich mag die Löffel lieber – die hat man tatsächlich mal schnell zur Hand. Oder eben auch nicht mehr.

Die Botschaft bleibt dieselbe:

Im Alltag eines Menschen mit psychischer Erkrankung kann eine einzige soziale Begegnung bereits einige „Löffel“ kosten. Ein unangemeldeter Besuch, ein unerwarteter Anruf, ein Einkauf im Supermarkt – und schwups, sind drei, vier Löffel verbraucht. Ein Tag in der lauten Schule mit Lehrkräften ohne pädagogischen Hintergrund und ohne Kenntnisse über Autismus sind vermutlich der Endgegner. 

Hat man sich und die Ursachen erkannt, die uns viel Energie abverlangen – also viele Löffel kosten, gilt es sehr genau abzuwägen, welche Aktivität man sich erlaubt. Ok, Schulpflicht und das aktuelle Schulsystem ist da leider auch noch ein weiteres krankmachendes Thema.. 

Es geht dann wirklich bei manchen Aktivitäten auch um den eigenen Gewinn dabei, der einem eher etwas gibt, als vielleicht das Letzte, was man noch hat, nimmt. Und das hat dann seine Berechtigung, das hat Vorrang, denn das gehört zur Selbstfürsorge. Kein anderer als wir selbst, kann auf unsere Kraft aufpassen und sie für uns verwalten. Und keinem anderen sollten wir diese Verantwortung übergeben oder sie überlassen.

Meines Erachtens ist das für alle Menschen mit psychischer Erkrankung oder Einschränkung der wichtigste Schritt, zur Erhaltung der eigenen Gesundheit, physischer und psychischer Stabilität.

Aber manchmal raubt es einem einfach alle verfügbaren Löffel und auch welche vom nachfolgenden Tag. Und irgendwann kommt man einfach nicht mehr zum Spülen und hat schlichtweg keine Löffel für bestimmte Aufgaben, Stolpersteine und typisch deutschen und vor allem bürokratischen Behörden… 

Und meine Löffel sind gerade wirklich auf NULL! 

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